G’day, Mates!
Heute habe ich die Leseprobe von „Amicitia – Chaos zu sechst“ für euch im Gepäck! 🙂 Das Buch erscheint am 02.05.2023 und ich hoffe, der Einblick macht Lust auf mehr.
Prolog
»Nehmt doch mal dieses riesige Monstrum weg!«, beschwerte sich Elias, dessen Matheheft mittlerweile vollständig unter der Landkarte Polens verschwunden war.
Er schrieb die Hausarbeiten von seinem Sitznachbarn Danny ab und war über unser Stören alles andere als glücklich.
Augenblicklich zog ich die Karte vom Tisch der Jungs ein Stück zu mir, aber Sha, die auf der Tischplatte saß, hielt mich davon ab, indem sie eine Hand auf meinen Arm legte.
Sofort breitete sich ein dumpfes Gefühl in meinem Bauch aus und der Kummer überschattete das Pausengeschehen um mich herum, weshalb ich es kaum noch mitbekam. Wie durch Watte drangen die aufgedrehten Gespräche der Mädchen über den neuesten Klatsch und Tratsch zu mir. Das Jubeln der Jungs, weil einer von ihnen seinen Müll mit einem perfektionierten Wurf quer durch den Klassenraum in den Papierkorb an der Tür geworfen hatte. Das Knacken einer Möhre, die jemand aß, und die widerwilligen Bemerkungen über die nachfolgende Mathestunde, gefolgt von dem Frust wegen zu vieler Hausaufgaben.
Ich hatte die Karte mitgebracht, um mit Sha und Marcia in den Pausen über die anstehenden gemeinsamen Sommerferien zu sprechen. Es war nie meine Absicht gewesen, ausgerechnet Elias damit auf den Keks zu gehen. Ich sah ihn doch sowieso nur noch die letzten paar Tage vor den Ferien, bis sich unsere Wege endgültig trennten. Wieso muss Sha es schwieriger machen, als es ohnehin schon ist?
Da ich so abgelenkt von meinem Kummer gewesen war, hörte ich lediglich den letzten Teil von ihrer hitzigen Erwiderung. »… dann würdest du dich jetzt auch nicht beschweren!«
Ganz toll. Ich rollte mit den Augen. Nun stritten sie wieder. Obwohl ihre Auseinandersetzungen mittlerweile Tradition waren und immer für Entertainment sorgten, war heute das Gegenteil der Fall.
Elias brummte etwas Unverständliches in sich hinein und deutete mit dem Füller auf die Landkarte, in der wir unsere Nasen oder eher unsere gesamten Gesichter vergraben hatten. »Was wollt ihr überhaupt mit Polen? Gleich ist Mathe dran und nicht Geo.«
Sha warf mir einen demonstrativen Blick aus ihren perfekt geschminkten Augen zu und Marcia trat mir auf den Fuß. Sofort schoss mir ein fieser Schmerz durch die Zehen und ich unterdrückte keuchend einen Aufschrei. Normalerweise war Marcia klein und zierlich, was ihre blasse Haut und die dunkelbraunen, leicht lockigen Haare mit dem braven Schulmädchenhaarschnitt unterstrichen. Wenn es aber um Elias und mich ging, mutierte sie zum Hulk und entwickelte Superkräfte.
»Ähm … ich … wir …«, stammelte ich und ignorierte den schmerzenden Fuß. So wird das nichts! Ich atmete durch und nahm meinen Mut zusammen. »Sha, Marcia, meine Brieffreundin Rike und ich reisen in den Sommerferien nach Polen und anschließend nach Litauen.« Siehst du, Lee. Geht doch. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter.
Danny hatte sich genau wie Elias zu uns umgedreht. Seine Locken hingen ihm in die gerunzelte Stirn. Hat er noch nie etwas von einem Friseur gehört? »Und was habt ihr da vor?«
»Zelten«, antwortete Marcia, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Elias grunzte und hielt sich sofort die Hand vor den Mund. Für ihn war das wohl der größte Witz des Jahres. »Und wieso gerade Polen? Ist das nicht total langweilig?« Er drückte die Kappe auf seinen Füller und legte ihn beiseite. Die Mathehausaufgaben schienen nicht so interessant wie unsere Sommerferien.
»Hast du etwa ein Problem damit?« Shas Stimme hatte einen scharfen Ton angenommen.
Manchmal bewunderte ich es, wie direkt und ohne Rücksicht auf Verluste sie mit ihm umging. Ich dagegen ging jedem Streit mit ihm aus dem Weg und vergaß dabei oft für mich einzustehen.
Elias machte ein ungläubiges Geräusch. »Als ob ihr drei es hinbekommt, ein Zelt aufzustellen. Dafür seid ihr doch viel zu chaotisch.« Nacheinander bedachte er uns mit einem kritischen Blick. Zum Schluss blieb er auf mir ruhen und sofort bekam ich Herzklopfen.
Guck auf den Tisch, Lee, damit du ihn nicht wieder so peinlich anstarrst! Schau dir die Karte an. Lies die Ortsnamen! Skal… mier… zyce. Hä?
»Komm mit und überzeug dich davon, wie perfekt wir das mit dem Zelten hinbekommen werden!«, forderte Sha ihn unvermittelt heraus.
Synchron entfuhr Marcia und mir ein entsetztes: »Was?«
Sha zwinkerte mir zu und Elias lachte los. »Ja, klar! Als ob ich allein mit euch gackernden Hühnern verreisen würde! Nein, da bleib ich lieber zu Hause.«
An Danny gewandt tippte er sich gegen die Stirn, nahm den Füller in die Hand und schrieb weiter die Hausaufgaben ab.
»Du wärst nicht mit uns allein. Lees Eltern kommen auch mit. Schließlich brauchen wir jemanden, der auf uns aufpasst.« Mit einem genervten Gesichtsausdruck pustete sich Sha eine Strähne aus dem Gesicht.
Hilfesuchend wandte ich mich Marcia zu, in deren Augen die gleiche Ratlosigkeit herrschte, wie ich sie fühlte. Rasch richtete sie ihr Wort an Sha, um Schlimmeres zu verhindern. »Sag mal, du wolltest doch die Hausaufgaben auch noch von mir abschreiben, oder habe ich das gestern falsch verstanden?«
Diese wedelte abweisend mit einer Hand in unsere Richtung und richtete ihre Aufmerksamkeit weiter auf Elias.
Wo ist das schwarze Loch, das einen zu verschlingen droht, sobald man es braucht?
Elias warf den Füller in seine vollgekritzelte Federtasche und drehte sich erneut zu uns um. Seine sonst wunderschönen braunen Augen waren dunkel vor Ärger. »Wenn ich wegen dir keine Hausaufgaben vorzeigen kann, habe ich sie einmal bei dir gut, Sascha! Was willst du?«
Oh. Nannte Elias meine Freundin bei ihrem vollen Namen, war er richtig wütend.
»Ich bin der Meinung, du solltest mitkommen, um dich davon zu überzeugen, was für geborene Camper wir sind!« Entschlossen verschränkte Sha ihre Arme vor der Brust.
Danny prustete los und Elias schüttelte den Kopf, als hätte Sha endgültig den Verstand verloren.
»Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich werde sicher nicht allein mit euch zelten gehen. Und Lees Eltern zählen nicht.«
Sha drehte ihren Kopf in Dannys Richtung und lächelte ihn herzallerliebst an. »Daniel! Du bist doch Elias’ bessere Hälfte! Wie wäre es, wenn du ihm beistehst?«
Sofort war seine belustigte Laune verflogen. Ich beachtete ihn nicht weiter und zupfte Sha am T-Shirt, um sie von der Idee abzubringen, ausgerechnet ihn zur Reise einzuladen. Doch meine Freundin ignorierte mich und bedachte Danny weiterhin mit ihrem bohrenden Blick, der ihn dazu brachte, sich wie ein Wurm an der Angel zu winden.
Kann es noch schlimmer kommen?
Danny zuckte mit den Schultern, wie er es immerzu tat. Eine Geste, die mich genauso nervte wie die ausgewachsene Frisur und sein ganzes Wesen. »Meine Oma war früher öfter in Polen und hat immer davon geschwärmt. Das ist übrigens eines der seenreichsten Länder der Welt. Wusstet ihr das?« Er war total begeistert, während Elias den Eindruck erweckte, überhaupt nicht mehr zuzuhören. Mit gerunzelter Stirn schaute er auf seine Finger hinunter, die er ineinander knetete.
»Natürlich weiß ich das«, erwiderte ich und Danny schnitt mir eine Grimasse. Wenigstens muss ich ihn nicht mehr allzu lange ertragen. Auch wenn es mich maßlos ärgerte, ihn als Klassenbesten in Geografie zurückzulassen. Das war mein Job. Gewesen.
»Also, was ist jetzt?« Sha verschränkte die Arme vor der Brust. »Kommt ihr mit?«
Was zum …?!
»Sha, ich muss –«
Elias unterbrach mich. »Wenn Danny mitkommt, würde ich diese Herausforderung wagen und mit euch zelten gehen«, antwortete er mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck.
Und ob es noch schlimmer kommen kann.
»Was soll das?! Ich wollte den Sommer zum Skaten nutzen!«
Bevor Danny sich weiter wehren konnte, der genauso unglücklich schien, wie ich mich fühlte, klatschte Sha in die Hände. »Perfekt! Dann wäre das ja geklärt!«
Meine Gedanken überschlugen sich. »Ähm. Ich sollte zuerst das Einverständnis meiner Eltern einholen. Und vielleicht sagen eure ja auch gar nicht zu –«
Elias schüttelte den Kopf und beendete damit mein klägliches Gestammel. Überraschend sanft schaute er mir in die Augen. Bei diesem Blick wurde mein Mund sofort trocken und ich schluckte. Gleichzeitig wurden meine Wangen ganz warm. Schnell blickte ich auf meine Hände hinunter.
»Ich darf einer Freundin vor ihrem Umzug bestimmt Gesellschaft leisten. Das sollte kein Problem sein.«
Sofort hob ich wieder den Kopf. Freundin? Habe ich etwas verpasst?
Verschwommen bekam ich mit, wie Sha und Marcia bedeutungsvolle Blicke austauschten. »Na, dann ist doch alles geregelt! Lee, du sprichst heute mit deinen Eltern und ihr zwei -«
Die Tür des Klassenraums fiel zu und unsere Lehrerin rauschte herein. Wie immer mit ihrer aktenkofferartigen Tasche unterm Arm, die sie mit einem lauten Klatschen auf den Lehrertisch fallen ließ, was alle dazu brachte zusammenzuzucken.
»Sascha, runter vom Tisch. Die Stühle sind zum Sitzen da! Und Leevke, was soll das denn mit der Karte? Räum sie weg, die Stunde hat angefangen.«
Erleichtert seufzte ich auf. Noch nie war ich dankbarer gewesen, dass unsere Mathelehrerin eines unserer Gespräche unterband.
Ich faltete die Landkarte zusammen, während sich Sha murrend auf den Stuhl setzte. Sie beugte sich zu den Jungs vor, die uns ihre Rücken zugewandt hatten, um zur Tafel zu schauen.
»Redet mit euren Eltern. So wird Lee ein grandioser Urlaub bevorstehen«, zischte sie ihnen zu.
»Mhm … wunderbar«, murmelte ich und steckte die Karte in meinen Rucksack. Marcia tätschelte mir den Arm.
Das kann ja heiter werden.
Krachend fiel die Haustür hinter mir ins Schloss. »Mam! Paps! Ich muss dringend mit euch reden!« Ich kickte die Schuhe von den Füßen und stürmte ins Wohnzimmer.
Mam packte einige Bilder in die Umzugskisten, die mit ihren offenen Klappen im ganzen Raum verteilt waren, und trat mit einem besorgten Gesichtsausdruck auf mich zu. Schon hörte ich Paps die Treppe herunterkommen.
»Was ist denn los?« Er nahm auf dem Sofa Platz.
»Sha will die Jungs bei der Reise dabeihaben. Aber ich halte es keine vier Wochen mit Elias und Danny aus!« Erledigt ließ ich mich neben Paps in die weichen Polster fallen. Wenigstens dieses Möbelstück stand noch hier.
»Nicht so schnell.« Er drehte sich in meine Richtung. »Was ist passiert? Und wieso sollen die Jungs mit? Ich dachte, ihr vier Mädels seid genug.« Seine Stimme war mit jedem Satz höher geworden.
Kurz fasste ich das heutige Pausengespräch zusammen. »Und nun ist Sha der Meinung, ihnen beweisen zu müssen, dass wir das Ganze hinkriegen.«
Mam und Paps warfen sich einen Blick zu und schienen stumm miteinander zu kommunizieren.
»Eigentlich kommt es doch auf zwei Reiseteilnehmer mehr nicht an. Sie haben Platz im Campervan und wenn sie ihr eigenes Zelt beziehen, sehe ich keine Probleme, sie mitzunehmen. Du?« Paps wandte sich an Mam. Ist er froh bei vier Mädels männlichen Beistand dabeizuhaben oder wieso lenkt er so schnell ein?
Mam erwiderte zuerst nichts und sagte dann nachdenklich: »Eigentlich war die Reise nur mit den Mädchen angedacht. Du weißt, was das für uns bedeutet, wenn noch zwei Jungs mitkommen.«
Paps richtete seine Brille neu. »Ich weiß. Aber es ist doch schön, dass sich die Kinder miteinander angefreundet haben. Sollten wir diesen Austausch nicht fördern? Das wird sie in ihrer Entwicklung bestimmt bereichern.«
Nein. Mit Sicherheit nicht.
Meine Mutter seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich telefoniere gleich mit ihren Eltern. Wenn sie uns ihr Okay geben, sehe ich auch keine Schwierigkeiten.«
Ich gab einen frustrierten Laut von mir, während Paps siegessicher lächelte.
»Freust du dich gar nicht?« Mam runzelte die Stirn. »Es ist doch toll, wenn du außer Sha und Marcia noch mehr Freunde hast, die so einen Anteil an dir und deinem Leben nehmen.«
»Ganz toll«, erwiderte ich wenig begeistert.
Allein die Aussicht, den Sommer mit Elias zu verbringen, sorgte bei mir für Übelkeit. Ich würde mich doch in einer Tour vor ihm blamieren, genau wie jedes Mal in der Schule. Und als wäre es nicht peinlich genug, setzt Sha bestimmt alles daran, uns miteinander zu verkuppeln. Um das Ganze für mich noch schrecklicher zu gestalten, hatten wir obendrein Zuschauer, nämlich Danny und meine Eltern.
Ich vergrub den Kopf zwischen ein paar Kissen, die es bisher nicht in einen der Umzugskartons geschafft hatten. »Hätte Paps den Job in Kiel nicht angenommen, wäre das alles gar nicht notwendig.«
Mam seufzte. »Wir werden doch nur eine Stunde entfernt wohnen.«
Eine Stunde und fünfunddreißig Minuten. Und das war, wenn man es gewohnt war, Tür an Tür mit der besten Freundin zu leben, eine Ewigkeit. Wobei mir momentan jeder Millimeter zwischen Sha und mir ganz angenehm war.
Paps stand wieder auf. »Dann gehst du telefonieren und ich kümmere mich weiter darum, die Möbel abzubauen.«
Ich vergrub mich tiefer in die Kissen. Die Ferien hatten eine ungeahnte Wendung genommen und noch war ich mir nicht sicher, ob ich das gut fand. Aber hat Sha nicht immer betont, wie sehr Elias auf mich steht? Sind wir nicht deshalb das Traumpaar schlechthin?
Als ob.
No worries,
Sarah